„Wir haben uns für die Uni Düsseldorf und das CEDUS entschieden, weil die Gesamtvoraussetzungen für unser Gründungsprojekt dort am besten sind.“
Als Gründungsteam funktionieren sie richtig gut, so die Erfahrung von Tobias Barg, Dr. Felix Sümpelmann und Jan-Eric Gawande. Mit dem digitalen Therapieangebot von kaarlo möchten sie Menschen mit funktionellen Körperbeschwerden helfen. Die App dafür entwickeln die drei Gründer der aalto Health GmbH an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort werden sie auch bei ihren Gründungsvorbereitungen durch das Center for Entrepreneurship Düsseldorf (CEDUS) unterstützt.
Die Kurzfassung des Interviews können Sie auch hören:
Herr Dr. Sümpelmann, Herr Barg, mit welcher Gründungsidee gehen Sie an den Start?
Dr. Sümpelmann: Wir arbeiten an der ersten digitalen Therapie für funktionelle Körperbeschwerden. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung aus dem Bereich der Psychosomatik. Davon betroffen sind ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung. Anders gesagt: Von den Patientinnen und Patienten, die täglich ihre Hausarztpraxis besuchen, leidet etwa ein Viertel unter Beschwerden wie Rückenschmerzen, Schwindel oder Müdigkeit, ohne dass dafür hinreichende organische Ursachen gefunden werden können. Eine psychosomatische Therapie ist jedoch sehr zeitaufwändig. Hinzu kommt, dass es für einen Termin bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten lange Wartezeiten gibt. Das bedeutet, es gibt von Seiten der Ärzteschaft und der Patientinnen und Patienten ein großes Interesse an einem alternativen Therapieansatz.
Und dabei handelt es sich um eine digitale Therapie, die Sie per App anbieten werden?
Dr. Sümpelmann: Wir arbeiten mit drei digitalen Säulen: Die erste Säule bildet kaarloDoc, ein Gesprächsangebot zur Anamnese und Therapiebegleitung. Die zweite Säule bildet unsere App kaarloTherapy, in welcher Patientinnen und Patienten die Therapie selbstständig durchlaufen können. Unsere App arbeitet mit Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie, die man zum Beispiel auch bei einer Psychotherapie oder einer psychosomatischen Grundversorgung nutzen würde. Das bedeutet: Die Patientin oder der Patient gibt in unserer App zunächst die ärztliche Diagnose und das Beschwerdebild ein. Anschließend erhält er eine Auswahl an Modulen. Die enthalten jeweils fünf- bis zehnminütige Übungen, die über einen Zeitraum von zwölf Wochen täglich ausgeführt werden sollten. Dabei geht es zum Beispiel um Methoden der Aufmerksamkeitslenkung, der Schlafbeeinflussung oder auch Stressreduktion. Die dritte Säule bildet kaarloPlus, in welcher wir therapieförderliche Zusatzangebote für PatientInnen anbieten.
Sie stecken noch in den Gründungsvorbereitungen und werden dabei durch das Center for Entrepreneurship Düsseldorf (CEDUS) an der Universität Düsseldorf unterstützt. Wie sieht diese Hilfe aus?
Barg: Die ist tatsächlich sehr vielfältig. Insgesamt unterstützt uns das CEDUS ganz wunderbar, weil es über sehr viel Erfahrung verfügt. Das Team kennt sich zum Beispiel sehr gut mit der Beantragung von Fördermitteln aus, die wir für die Umsetzung unseres Projekts dringend benötigen. Hinzu kommt ein großes Netzwerk, durch das wir immer wieder neue Leute kennenlernen, die uns bei vielen Fragen unterstützen können.
Gibt es etwas, dass Sie bisher besonders weit vorangebracht hat?
Barg: Ich würde behaupten, dass für uns der erste Förderantrag, also der Antrag für Start-up Transfer.NRW, besonders hilfreich und wichtig war. Der Antrag wird zwar über die Hochschule gestellt, aber als Gründungsteam muss man natürlich sehr viel Input liefern. Und da das Antragsverfahren für die Förderung sehr anspruchsvoll ist, waren die Erfahrungen des CEDUS-Teams einfach sehr hilfreich.
Zu Start-up Transfer.NRW kommen wir gleich noch einmal. Vorab noch eine Frage zu Ihrem Team. Sie sind mit Ihrer App im technischen, im medizinischen und im psychotherapeutischen Bereich unterwegs. Welche Kompetenzen bringen Sie mit?
Dr. Sümpelmann: Wir sind sehr divers aufgestellt. Ich denke, deshalb sind wir für diese Aufgabe auch sehr gut geeignet. Tobias zum Beispiel ist Rechtsanwalt. Das hilft enorm, nicht zuletzt, weil wir uns bei digitalen medizinischen Gesundheitsanwendungen in einem hoch regulierten Bereich bewegen. Jan-Eric wiederum hat viele Jahre in verschiedenen wachstumsstarken Start-ups gearbeitet. Zuletzt war er in einem Unternehmen tätig, das sich ebenfalls mit digitalen Gesundheitsanwendungen beschäftigt. Mit Tobias und Jan-Eric verfügt das Team also sowohl über juristische als auch über betriebswirtschaftliche und branchenbezogene Kompetenzen. Ich selbst bin für den medizinischen Part zuständig und schlage damit fachlich die Brücke zur Universität Düsseldorf, wo ich im engen Kontakt mit der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie unter Leitung von Prof. Dr. Susanne Becker stehe. Insofern sind wir gut aufgestellt, freuen uns aber sehr darüber, dass wir in den nächsten Monaten noch Verstärkung sowohl aus dem psychotherapeutischen Bereich als auch aus den Bereichen IT-Entwicklung und Business-Development bekommen werden.
Bevor Sie sich zu einem Gründungsteam zusammengeschlossen haben, waren sie alle drei schon berufstätig. Wie haben sie denn zusammengefunden und wie kam der Kontakt zur Uni Düsseldorf zustande?
Barg: Wir mussten uns gar nicht „zusammenfinden“, weil wir uns schon sehr, sehr lange kennen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Und obwohl wir danach beruflich ganz unterschiedliche Wege gegangen und auch an verschiedene Orte gezogen sind, ist der Kontakt nie abgerissen. Felix erzählte uns dann irgendwann von seiner Idee eines digitalen Therapieangebots für funktionelle Körperbeschwerden. Er kannte das Problem aus seinem beruflichen Alltag. Warum wir uns dann zusammen so intensiv damit beschäftigt haben, lag sicherlich daran, dass es uns einfach gereizt hat, neue Wege zu beschreiten. Irgendwann war dann klar, dass unsere Idee funktionieren könnte. Wir brauchten aber noch fachlichen Input und Unterstützung bei unseren Gründungsvorbereitungen. Also haben wir mehrere Universitäten kontaktiert und sind dort tatsächlich überall auf reges Interesse gestoßen. Letztlich haben wir uns dann für die Uni Düsseldorf und das CEDUS entschieden, weil die Gesamtvoraussetzungen dort am besten waren.
Das heißt, Sie waren von dem Angebot von CEDUS überzeugt?
Barg: Ja, aber das allein war nicht ausschlaggebend. Entscheidend war auch die in Aussicht gestellte Betreuung durch Prof. Dr. Susanne Becker. Sie leitet die Arbeitsgruppe Klinische Psychologie am Institut für Experimentelle Psychologie. Das Team der Arbeitsgruppe besteht aus mehreren psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Das ist für unsere Arbeit natürlich ideal. Außerdem haben wir Zugang zur psychotherapeutischen Institutsambulanz der Universität. Dieses Netzwerk hätten wir allein gar nicht aufbauen können. Ein weiterer Punkt, der für uns eine große Rolle gespielt hat, war bzw. ist die Gründungsfreundlichkeit des Verwaltungsapparats der Hochschule. Eine Hochschulverwaltung ist ja eher träge. Als künftiges Start-up ist man aber darauf angewiesen, dass Entscheidungen schnell getroffen werden. Und das ist bei der HHU der Fall.
Sie sprachen vorhin von Start-up Transfer.NRW. Die Förderung bekommen Sie seit Mai. Warum haben Sie sich für dieses Programm entschieden?
Barg: Start-up-Transfer passt besonders gut zu unserem Vorhaben. Das Fördervolumen ist ziemlich hoch. Das heißt, das Land NRW und die EU geben gemeinschaftlich 270.000 Euro. Die Uni steuert noch einmal 10 Prozent bei. Damit können wir flexibel unsere relativ hohen Ausgaben für Personal sowie für die technische Entwicklung finanzieren. Bestandteil der Förderung ist auch, dass wir während der Förderphase als wissenschaftliche Mitarbeiter an der Uni angestellt sind. Das heißt, wir beziehen ein regelmäßiges Gehalt, haben Zugang zu Räumlichkeiten und Infrastruktur sowie fachlichem Input.
Wenn Sie auf Ihre bisherigen Gründungsvorbereitungen zurückblicken: Welche größeren Hürden mussten Sie bewältigen?
Barg: Ich würde behaupten, es gab eine ganze Bandbreite an Herausforderungen. Ich ziehe meinen Hut vor jeder Gründerin und jedem Gründer, vor allem vor denjenigen, die das Ganze allein durchziehen. Die Aufgaben, die da auf einen zukommen, sind einfach wahnsinnig vielfältig. Sei es die Produktentwicklung und -testung, Aufgaben im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, Finanzierung oder Förderungen. Die Liste ist schier endlos. Und über allem schweben dann noch rechtliche und bürokratische Hürden und Fragestellungen. Vor dem Hintergrund sind wir einfach sehr froh, dass wir ein so komplementär zusammengestelltes Team sind, das wirklich gut funktioniert.
Unter dem Strich ist für Sie also alles ganz gut gelaufen?
Barg: Ja, das kann man insgesamt so sagen. Im Juni 2024 haben wir die aalto Health GmbH gegründet, weil wir gespürt haben, dass der Markt sehr an dem Projekt interessiert ist und hohes Vertrauen in die Stärke unseres Teams hat. Land und EU fördern uns. Und jetzt sieht es sehr danach aus, dass wir zum Jahresende auch noch eine Förderung des Bundesforschungsministeriums erhalten. Auch da spüren wir das Vertrauen in unsere Idee und unser Team.
Sie sagen, der Markt vertraut Ihnen. Wer genau ist denn Ihr Markt? Bzw. wer sind Ihre zahlenden Kundinnen und Kunden?
Dr. Sümpelmann: Unsere digitale Therapie kaarloTherapy soll später in der Regelversorgung zum Einsatz kommen. Deswegen ist es unser Ziel, dass jede Patientin und jeder Patient die Anwendung bei Bedarf nutzen kann und die Leistungen von der Krankenkasse erstattet werden. Das bedeutet, unser Geschäftsmodell baut darauf auf, dass die Krankenkassen am Ende die Kosten dafür übernehmen. Das streben wir perspektivisch auch für Leistungen von kaarloDoc an, das zunächst als Freemium Modell an den Markt geht. Selbstzahler sollten dagegen nur Kosten für Zusatzleistungen tragen müssen, die wir in kaarloPlus als Abo-Modell anbieten.
Und was sagen die Krankenkassen bisher? Sehen Sie da schon eine gewisse Bereitschaft?
Dr. Sümpelmann: Generell bekommen wir von allen Krankenkassen gespiegelt, dass es bisher keine entsprechende Anwendung für dieses Krankheitsbild gibt und es daher eine hohe Versorgungsrelevanz gibt. Die Krankenkassen sind also sehr daran interessiert, eine geeignete therapeutische Anwendung zu unterstützen. Damit unsere App in das Versorgungsportfolio der Krankenkassen aufgenommen werden kann, müssen wir allerdings erst einmal die notwendigen Daten- und Versorgungsnachweise zusammenstellen. Damit beschäftigen wir uns gerade.
Zu guter Letzt: Welchen Tipp können Sie anderen Gründungsinteressierten geben?
Dr. Sümpelmann: Wie schon gesagt, wovon wir sehr profitieren, ist unsere persönlicher und fachlicher Background. Ein weiterer Pluspunkt war und ist, dass wir uns in Vollzeit diesem Projekt widmen können. Anders wäre es auch gar nicht möglich, in der Intensität und Geschwindigkeit eine Start-up-Gründung voranzutreiben. Empfehlenswert ist außerdem eine sorgfältige Planung, die die kommenden zwei bis fünf Jahre umfasst. Diese Planung hat dazu geführt, dass wir zum Beispiel schon unsere Anschlussförderung in der Tasche haben, bevor die erste Förderung ausgelaufen ist.
Barg: Wichtig ist auch, sichdarüber Gedanken zu machen, welche Kompetenzen im Team fehlen und diese Lücken durch geeignete Beratungsangebote zu schließen. Es gibt so viele tolle Angebote. Wir arbeiten zum Beispiel eng mit der FoundersFoundation in Bielefeld zusammen und sind dort im Inkubator-Programm aufgenommen worden. Die vielfältigen Workshop-Angebote und Erfahrungen der Dozentinnen und Dozenten unterstützen uns ganz erheblich auf dem Weg zum Problem Solution Fit.
Weitere Informationen:
Stand: August 2024
Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert das Projekt HHU Gründungsförderung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
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