„NRW bietet für den Start unseres Unternehmens die besten Voraussetzungen, weil der offen zugängliche Datenschatz hier einfach am größten ist.“

v.l.n.r.: Fabian Göddert, Michael Geigerhilk, Lukas Naumann
© Acuire, CET - TU Dortmund

Bauland ist gefragt - besonders bei Immobilienentwicklern. Bei ihnen gehört die Suche nach Grundstücken zum Tagesgeschäft. Doch die Grundstücksakquise hat es in sich: Geklärt werden müssen baurechtliche, umweltrelevante, bodenspezifische und viele weitere Fragen. Hier setzt das Gründungsteam von Acuire an: Fabian Göddert, Lukas Naumann und Michael Geigerhilk haben eine Datenbank aufgebaut, die Immobilienentwicklern alle notwendigen Informationen über Grundstücke, deren planungsrechtliche Potenziale und vieles mehr zur Verfügung stellt. Sowohl bei der Entwicklung ihrer Idee als auch bei ihren Gründungsvorbereitungen wurden sie von der Technischen Universität Dortmund sowie deren Centrum für Entrepreneurship & Transfer unterstützt.

Herr Göddert, Sie möchten gemeinsam mit Ihren Co-Gründern die Grundstücksakquise in der Immobilienentwicklung vereinfachen. Wie kann man sich das vorstellen?
Göddert: Jeder weiß, dass Boden, insbesondere Baugrund, eine sehr knappe Ressource ist. Er muss also möglichst effektiv genutzt werden. Für Unternehmen, die in der Immobilienentwicklung unterwegs sind, ist es daher enorm wichtig, Grundstücke zu identifizieren und zu erwerben, die möglichst genau zu ihrem jeweiligen Bauvorhaben passen.

Und was genau bieten Sie in dem Zusammenhang an?
Naumann: Aktuell orientieren sich Immobilienentwickler bei der Suche nach Grundstücken an Angeboten, die sie von Maklerinnen, Maklern oder anderen Netzwerkpartnern erhalten. Jedes Grundstück, das in die engere Wahl kommt, muss dabei hinsichtlich seines Entwicklungspotenzials geprüft werden. Dazu gehören baurechtliche Fragen, die Frage der Eignung für die zukünftigen Nutzer, mögliche Umweltrisiken und so weiter. Abgesehen davon muss sich das Projekt natürlich auch rechnen. Um eine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten, sind also eine Fülle von Informationen notwendig. Dazu müssen zahlreiche Datenquellen recherchiert und ausgewertet werden. Das nimmt bei den meisten Immobilienentwicklern zwischen 25 und 50 Prozent der Zeit in Anspruch. Darüber hinaus erfordern die vielen verschiedenen Sachthemen auch eine entsprechende Expertise, die aber eigentlich nur von den wirklich großen Unternehmen mit spezialisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgedeckt werden kann.

Die Suche nach geeigneten Grundstücken ist also eine aufwändige Sache. Und da kommen Sie ins Spiel.
Naumann: Ganz genau. Wir tragen alle entscheidungsrelevanten grundstücksbezogenen Daten zusammen, werten sie unter Berücksichtigung der geplanten Nutzung – ob Wohnen, Gewerbe, Infrastruktur – aus und stellen sie dem Immobilienentwickler zur Verfügung. Das Besondere ist, dass wir das ganze Verfahren vollständig automatisiert haben. Wir haben zum Beispiel einen Algorithmus entwickelt, der sowohl die baurechtlichen Bestimmungen für das jeweilige Grundstück identifiziert als auch die entsprechenden Prüfkriterien im Detail aufführt. Das umfasst zum einen die Einschätzung, ob und auf welcher Grundlage überhaupt Baurecht besteht – weil sich ein geprüftes Grundstück zum Beispiel im unbeplanten Innenbereich, also nicht im Geltungsbereich eines konkreten Bebauungsplans, aber innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, befindet. Zum anderen geht das bis auf die rechtliche Detailebene, wenn sich in diesem Fall die Bebaubarkeit nach der Eigenart der näheren Umgebung richtet und für jedes Gebäude in der Umgebung geprüft wird, ob es juristisch gesehen noch zur näheren Umgebung zählt und welche Konsequenzen das für das Bebauungspotenzial hat. Diese Informationen tragen dazu bei, dass sich der Immobilienentwickler optimal auf das Gespräch mit dem Verkäufer und der jeweiligen Bauaufsichtsbehörde vorbereiten kann.

Sie arbeiten mit einer Fülle an Daten. Sind die denn überhaupt frei zugänglich? Oder müssen Sie mit jeder einzelnen Kommune Kontakt aufnehmen und die Daten abfragen?
Naumann: Das ist glücklicherweise nicht notwendig. Es gibt in Nordrhein-Westfalen die Open-Data-Initiative, die alle offenen Verwaltungsdaten des Landes, der Kommunen und von Unternehmen der Daseinsvorsorge online zur Verfügung stellt. Damit haben wir zum Beispiel Zugang zu den Daten der Katasterämter. Im nächsten Schritt werden wir außerdem noch weitere statistisch generierte Daten gewinnen, die wir für unsere Kundinnen und Kunden auswerten werden. So lassen sich beispielsweise auf Stadtteil- oder Postleitzahlebene aggregierte Daten wie demografische Kennzahlen gemeinsam mit unseren Daten auf Gebäudeebene auswerten und darstellen, um noch genauere Entscheidungen zu ermöglichen.

Göddert: Dennoch ist die verfügbare Datengrundlage teilweise lückenhaft, weil nicht jede Kommune ihre Daten so einpflegt, wie sich Immobilienentwickler das manchmal wünschen. Unser Ziel ist daher, mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Datenlage flächendeckend zu verbessern. Wir nutzen dabei die vorhandenen Datenpunkte, beispielsweise Höhe, Dachform und Anzahl der Geschosse von Gebäuden, um daraus Zusammenhänge und Regeln abzuleiten. Damit können wir dann Vorhersagen treffen, wo die Daten unvollständig sind. Fehlt zum Beispiel die Zahl der Geschosse, können wir diese aus der Höhe, der Dachform und einigen weiteren Merkmalen ableiten, sodass überall eine einheitliche Datenqualität und -verfügbarkeit gewährleistet ist. Immobilienentwickler erhalten damit außerdem die Möglichkeit, den gesamten Grundstücksbestand in NRW nach ihren individuellen Ankaufsprofilen zu filtern. Sie müssen also nicht mehr auf Angebote warten, sondern sehen auf einen Blick alle in Frage kommenden Grundstücke.

Sie starten gerade in NRW. Wie sieht es denn mit den anderen Bundesländern aus? Stehen dort ebenfalls alle relevanten Daten online zur Verfügung?
Naumann: Vergleichbare Open-Data-Plattformen gibt es noch nicht in allen Bundesländern. Von daher ist für uns auch ganz klar, dass Nordrhein-Westfalen für den Start unseres Unternehmens die besten Voraussetzungen bietet, weil der offen zugängliche Datenschatz hier einfach am größten ist.

Wie und wo ist Ihre Idee denn entstanden?
Göddert: Ich war schon während meines Wirtschaftsingenieurstudiums bei einem Immobilienentwickler in der Grundstücksakquise tätig. Dabei ist mir aufgefallen, wie aufwändig und komplex das Thema Grundstücksprüfung ist. Nur leider war ich damals noch nicht in der Lage, irgendetwas daran zu ändern. Das hat sich dann geändert, als ich an der TU Dortmund im Bereich Behavioral Real Estate promoviert und mit statistischen Methoden die Nachfrage nach Wohnimmobilien analysiert habe. Nachdem ich dann am Lehrstuhl für Immobilienentwicklung auch noch Lukas kennengelernt hatte, nahm die Idee, die Suche nach und die Bewertung von Grundstücken zu automatisieren, konkrete Formen an.

Naumann: Ich habe mich in meiner Promotion auf die Analyse von Geodaten spezialisiert und festgestellt, dass es dabei sehr viele Überschneidungen mit der Immobilienakquise gibt. Also haben Fabian und ich uns zusammengesetzt und überlegt, welche Prozesse erforderlich sind, um die Akquisition von Grundstücken zu automatisieren. Irgendwann dachten wir, dass sich daraus auch eine Geschäftsidee entwickeln ließe.

Herr Geigerhilk, Sie sind der Dritte im Bunde. Was ist Ihre Aufgabe im Team von Acuire?
Geigerhilk: Ich habe Automatisierungstechnik studiert, habe mich dann auf Softwareautomatisierung spezialisiert und über fünf Jahre als Softwareentwickler gearbeitet. Da Lukas und ich uns schon vorher kannten, habe ich während der Entwicklung des Prototyps schon einige Denkanstöße zur Realisierung des Produkts als Software geben können. Die Zusammenarbeit wurde mit der Zeit immer enger, sodass wir uns daraufhin dazu entschieden haben, das Gründungsvorhaben gemeinsam auf den Weg zu bringen. In meinen Händen liegt daher nun die technische Umsetzung der Plattform.

Sie wurden vom Centrum für Entrepreneurship & Transfer (CET) an der TU Dortmund unterstützt.
Naumann:
Ja, nachdem wir dem CET unsere Idee vorgestellt hatten, haben wir direkt ein sehr positives Feedback erhalten. Mit Hilfe des CET-Teams konnten wir dann kurz darauf ein EXIST-Gründerstipendium beantragen.

Göddert: Insgesamt ist die TU Dortmund definitiv die Keimzelle für unser Start-up gewesen. Erstens hätten wir unsere Idee ohne die Unterstützung von Professor Michael Nadler vom Lehrstuhl für Immobilienentwicklung sowie seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in der Intensität vorantreiben können. Zweitens haben wir durch das EXIST-Gründerstipendium Zugang zu der notwendigen Infrastruktur an der TU Dortmund erhalten, um aus unserer Idee tatsächlich eine marktreife Anwendung zu entwickeln.

Haben Sie auch die Angebote des CET genutzt?
Naumann: Wir haben so ziemlich jedes Entrepreneurship-Programm, dass das CET anbietet, in Anspruch genommen. Es gibt ja für jede Gründungsphase das richtige Programm. Angefangen bei der Validierung der Nachfrage über die Beantragung von EXIST bis zur Markteinführung. Wir nehmen gerade am cetup.INNOLAB teil, dem Inkubator des CET. Darüber hinaus stehen uns individuelle Beratungs- und Coachingangebote zu Finanzierung und Vertrieb und allen weiteren wichtigen Themen zur Verfügung.

Göddert: Das alles hilft uns bei unseren Gründungsvorbereitungen ein großes Stück weiter. Wir schätzen auch sehr, dass wir bei organisatorischen Dingen, wie der Beantragung von Drittmitteln bzw. Förderprogrammen sehr gut unterstützt werden.

Sie bieten ein vollkommen neues Produkt an. Wie gehen Sie da vor? Wie sieht der Markteintritt aus?
Göddert: Voraussetzung für eine erfolgreiche Markteinführung ist, dass man sehr nutzerorientiert arbeiten muss. Ich weiß nicht, wie viele Interviews wir mit Immobilienentwicklern geführt haben. Wir haben aktuell eine mittlere zweistellige Zahl an Beta-Testern - Immobilienentwickler und zu einem kleineren Teil auch Architekten und Makler. Dadurch erhalten wir das notwendige Feedback, um entscheiden zu können, was wir für die Markteinführung noch benötigen und wie die Reise weitergeht.

Wie sieht denn Ihr Geschäftsmodell aus?
Göddert: Das Ganze ist ein sogenanntes B2B-Software-as-a-Service-Modell. Wir bieten je nach Nutzungsintensität ein Freikontingent sowie verschiedene Preisstufen an. Damit können wir verschiedene Kundengruppen abholen, von Architektur- und Maklerbüros bis zu Projektentwicklungsunternehmen.

Gab es auch größere Herausforderungen, mit denen Sie zu tun hatten?
Göddert: Die steigenden Zinsen und Energiekosten sowie die zunehmende Inflation haben für ziemliche Unsicherheit am Immobilienmarkt gesorgt. Lange Zeit war daher nicht klar, wie es mit der Grundstücksakquise bei den Immobilienentwicklern weitergehen würde. Mittlerweile stellen wir aber fest, dass die belastbare und verlässliche Grundstücksprüfung an Bedeutung gewonnen hat. Heute wird eben nicht mehr jede beliebige Immobilie gekauft in der Erwartung, dass die Preise immer weiter steigen. Die realistische Einschätzung des Grundstückswertes sowie des Entwicklungspotenzials spielen inzwischen eine zunehmend wichtige Rolle und kommt uns letztlich zugute.

Begreifen Sie sich eigentlich schon als Unternehmer?
Naumann: Ja und Nein. In manchen Situationen, in denen man mittel- oder langfristig vorausplanen und agieren muss, würde ich sagen: ja. In anderen Situationen, die einen vielleicht noch etwas überfordern, hat man doch eher das Gefühl, dazulernen zu müssen.

Göddert: Ich finde, dass man sich als Doktorand ohnehin eine selbstständige Arbeitsweise angewöhnt hat. Das hat auf jeden Fall bei den Gründungsvorbereitungen geholfen. Dennoch ist es weniger ein klarer Schritt als vielmehr ein Übergang zum Unternehmer. Das liegt zum Teil auch an Förderprogrammen wie EXIST. Uns ist bewusst, dass wir weich fallen, wenn es mit dem Gründen nicht klappt. Wir mussten nicht - wie viele andere Gründerinnen und Gründer - ein Darlehen aufnehmen oder sonst wie Schulden machen. Das finanzielle Risiko beim Gründen wird durch EXIST also stark minimiert. Das ist natürlich sehr komfortabel, entspricht aber natürlich nicht der realen Situation, in der man sich als Unternehmer befindet. Die wird sich einstellen, wenn wir tatsächlich von den Einnahmen unseres Unternehmens unseren Lebensunterhalt sowie den unserer zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanzieren und die volle unternehmerische Verantwortung tragen müssen.

Haben Sie vielleicht noch den einen oder anderen Tipp für andere Gründerinnen und Gründer parat?
Naumann: Ich kann definitiv den Tipp geben, sich professionell beraten zu lassen, Programme zu nutzen und zu schauen, inwiefern die Idee auch unternehmerisch Früchte tragen kann. Das gilt vor allem für diejenigen, die keinen BWL-Background haben, so wie ich. Das ist einfach wichtig, um eine realistische Einschätzung zu bekommen und an der Idee zu arbeiten, so dass sie die nötige Marktreife erlangt.

Göddert:Was Lukas gesagt hat, ist einer der wichtigsten Punkte überhaupt. Extrem wichtig ist darüber hinaus, Prioritäten zu setzen. Gerade am Anfang hat man jede Menge Ideen und bekommt jede Menge Anregungen von außen, was man noch alles machen könnte, welche weiteren Zielgruppen interessant wären usw. Das mag auch für das spätere Wachstum super interessant und wichtig sein. Aber am Anfang sind die Kapazitäten begrenzt. Von daher sollte man sich erst einmal darauf konzentrieren, ein bestimmtes Problem für eine definierte Zielgruppe zu lösen, bevor man sich andere Gruppen anschaut.

Geigerhilk: Ich finde, es ist ein großer Vorteil, dass wir alle drei einen relativ unterschiedlichen Background haben. Dadurch ist die Aufgabenverteilung bei uns im Team von vorneherein klar gewesen. Jeder hat seinen eigenen Aufgabenbereich und kann sich zugleich darauf verlassen, dass die anderen ihre Arbeit dank ihrer fachlichen Kompetenzen ebenso gut erledigen. Hinzu kommt, dass jeder von uns bestimmte Fragestellungen aus seinem fachlichen Blickwinkel betrachtet. Als Softwareentwickler sehe ich die Dinge zum Beispiel ab und zu anders als Lukas oder Fabian. Diese Herangehensweise hilft uns extrem weiter – sowohl bei der technischen Entwicklung unserer Plattform als auch bei der Entwicklung unseres Unternehmens.

 

Weitere Informationen:
Acuire

Stand: Januar 2023

Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert das Centrum für Entrepreneurship & Transfer (CET) an der TU Dortmund.