„Wenn uns enaCom nicht so gut betreut hätte, hätten wir das nie gemacht.“

v.l.n.r.: Kristopher Söderström (PhD), Dr. Katharina C. Cramer und Nicolas Rüffin
© Eva Persson / Pufendorf IAS

Vom CERN in der Schweiz hat jeder schon einmal gehört. Bei dem Teilchenbeschleuniger handelt es sich um eine sogenannte Forschungsinfrastruktur, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt genutzt wird. Das Besondere an diesen Forschungseinrichtungen sind die sehr großen und spezialisierten Großgeräte, die sie beherbergen. Deren Organisation und Finanzierung stellen die Betreiber allerdings vor große Herausforderungen. Genau hier setzt das Gründungsteam Tiller Alpha der Universität Bonn und der schwedischen Universität Lund an. Mit ihrer KI-basierten Wissensdatenbank möchten Dr. Katharina C. Cramer, Nicolas Rüffin und Kristopher Söderström (PhD) dazu beitragen, die Ressourcen- und Strategieplanung von Forschungsinfrastrukturen zu optimieren.

Das Interview können Sie auch hören:

Audio lädt...

Frau Dr. Cramer, Sie entwickeln gemeinsam mit Ihren beiden Kollegen eine Wissensdatenbank für gerätezentrierte Forschungsinfrastrukturen. Könnten Sie zunächst sagen, was man darunter versteht?

Dr. Cramer: Dabei handelt es sich um öffentlich finanzierte Großforschungseinrichtungen, die zum Beispiel Mikroskope, Teleskope, Forschungsreaktoren und andere große Geräte zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Eine sehr prominente gerätezentrierte Forschungsinfrastruktur ist zum Beispiel das CERN, der große Teilchenbeschleuniger in der Schweiz. Weniger bekannt ist vermutlich der Freie-Elektronen-Laser European XFEL in Schenefeld in Schleswig-Holstein. In diese und weitere Forschungsinfrastrukturen kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen aus aller Welt, um dort Experimente durchzuführen.

Hört sich gut an. Und worin besteht das Problem?

Dr. Cramer: Insbesondere in den Bereichen Organisation und Governance gibt es einige große Herausforderungen: Als öffentlich finanzierte Einrichtungen müssen die Forschungsinfrastrukturen zum Beispiel nachweisen, dass sie die öffentlichen Mittel sachgerecht verwenden. Außerdem müssen sie immer wieder neue Finanzmittel einwerben, um ihre Finanzierung langfristig sicherzustellen. Wenn man weiß, dass sich die Anschaffungskosten der Geräte jeweils auf mehrere hundert Millionen Euro belaufen, ist klar, dass das keine Kleinigkeit ist. Hinzu kommen die immens hohen Betriebskosten, die ebenfalls finanziert werden müssen. Allein die Energiekosten summieren sich pro Jahr auf zweistellige Millionensummen.

Das ist aber noch nicht alles. Großforschungseinrichtungen stehen zudem unter einem hohen internationalen Wettbewerbsdruck. Es geht also darum, immer ganz vorne mitzulaufen und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die besten und modernsten Instrumente und Geräte zur Verfügung zu stellen. Das allein ist schon eine große Herausforderung. Erschwerend kommt hinzu, dass wir in Zeiten knapper Finanzierungsspielräume und vieler geopolitischer Umbrüche leben, so dass sich die Bedingungen für internationale Forschungskollaborationen verschlechtert haben.

Mit welchen Folgen für die Forschungsinfrastrukturen?

Dr. Cramer: Mit der Folge, dass die Forschungsinfrastrukturen gezwungen sind, ihre Ressourcen- und Strategieplanung kontinuierlich zu verbessern. Dazu gehört auch der Nachweis der sozioökonomischen Wirkung: Welchen Einfluss bzw. Impact haben die Forschungsarbeiten der Forschungsinfrastruktur auf Gesellschaft und Wirtschaft? Dieser Nachweis ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Drittmittel zu akquirieren oder neue Partnerschaften zu schließen. Die Betreiber von Forschungsinfrastrukturen müssen also wissen: Welche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu ihnen? Was genau wird erforscht? Welche Instrumente oder Geräte werden genutzt? Wie intensiv werden diese genutzt? Wie viele der Forschungsergebnisse münden in Patente? Was hat die Gesellschaft davon? Usw. Um diese Fragen zu beantworten, braucht es eine riesige Menge an Daten, die aussagekräftig, aktuell und nutzerorientiert aufbereitet werden müssen.

Und dafür bieten Sie eine Lösung an?

Dr. Cramer: Ja, wir bieten mit unseren maßgeschneiderten Tools Forschungsinfrastrukturen die Möglichkeit, ihre Datenanalysen passgenauer, detaillierter und schneller durchzuführen. Bisher betreiben die Einrichtungen einen enormen personellen, organisatorischen und finanziellen Aufwand. Darüber hinaus besteht in Forschungsinfrastrukturen eine hohe Personalfluktuation. Dabei geht viel Wissen verloren, weil es nicht systematisch gespeichert oder weitergegeben wird. All das lässt sich mit unserer KI-basierten Lösung optimieren.

Und wo kommt die KI zum Einsatz?

Dr. Cramer: Eines der Tools, das wir entwickelt haben, ist die Wissensdatenbank Tiller. Sie ist KI-basiert, weil sie mit einem Large Language Model verknüpft ist. Tiller unterstützt die Forschungsinfrastrukturen bei den Vorarbeiten für die bereits erwähnten sozioökonomischen Wirkungsanalysen bzw. Impact Assessments. Sie informiert die Mitarbeitenden zum Beispiel darüber, wie vergleichbare Forschungsinfrastrukturen bei der Durchführung ihrer jeweiligen Wirkungsanalysen vorgegangen sind. Welche davon bereits in Deutschland, in Europa oder weltweit veröffentlicht wurden. Woran sich die jeweilige Einrichtung orientieren kann. Und wo sie alle relevanten Dokumente, also Konzepte, Indikatorenlisten, Policyberichte usw. finden.

Von der Nutzung her kann man sich das wie bei Chat-GPT vorstellen. Die Mitarbeitenden können in der Chat-Umgebung zum Beispiel fragen, welche Indikatoren für ihre Forschungsinfrastruktur sinnvoll sind. Welches die Vor- und Nachteile der einzelnen Indikatoren sind. Unsere Datenbank gibt dann darauf Antworten und hilft dabei, die geeigneten Dokumente zu finden. Man erhält als Nutzerin oder Nutzer die Seitenzahlen und die genaue Referenz, wo eine bestimmte Information steht. Damit schafft man die Grundlage, um eine aussagekräftige Wirkungsanalyse zu erstellen.

Wie ist die Idee für diese Wissensdatenbank entstanden?

Dr. Cramer: Das war, als ich als DAAD-Stipendiatin von 2022 bis 2023 an der Universität in Lund bzw. der schwedischen Forschungsinfrastruktur MAX IV Gastwissenschaftlerin war. Damals wurde mir klar, wie groß die organisatorischen Herausforderungen für eine Großforschungsinfrastruktur sind. Nach und nach hat sich daher die Idee herauskristallisiert, hier für Abhilfe zu sorgen.

Als ich dann mit Kristopher und Nicolas darüber sprach, waren beide gleich Feuer und Flamme. Und da Nicolas und ich aus gründungsaffinen Familien stammen, war es naheliegend, die Idee zu einer Geschäftsidee weiterzuentwickeln. Und für den notwendigen Schuss Energie und Motivation hat Kristopher gesorgt. Er hatte in Schweden schon einmal ein Unternehmen gegründet.

Können Sie etwas zu den Kompetenzen der Teammitglieder sagen?

Dr. Cramer: Wir drei kennen uns schon lange und teilen das Interesse an Organisation, Geschichte und Politik von Forschungsinfrastrukturen. Außerdem bringen wir die notwendige Expertise mit. Kristopher zum Beispiel hat einen PhD in Informationswissenschaften und hat sich kontinuierlich in den Bereichen Machine Learning, künstliche Intelligenz und Language Models weitergebildet. Er ist bei uns daher für alle technischen Fragen zuständig. Nicolas ist Wirtschaftspsychologe und promoviert gerade in Soziologie und ich bin promovierte Historikerin und habe Sozialwissenschaften studiert. Wir forschen beide seit über einem Jahrzehnt aus unterschiedlichen Perspektiven zu Organisationen und Geschichte von Forschungsinfrastrukturen und sind in unserem Team für die Validierung der Ergebnisse unserer Wissensdatenbank zuständig. Außerdem kümmern wir uns um den Datenschutz und weitere rechtliche Aspekte. Und nicht zuletzt bringe ich ein umfangreiches Netzwerk, bestehend aus europäischen Forschungsinfrastrukturen, Nutzerorganisation usw. mit.

Sie stehen in engem Kontakt mit dem Transfer Center enaCom der Uni Bonn. Wie würden Sie die Gründungsunterstützung der Uni Bonn beschreiben?

Dr. Cramer: Die Unterstützung ist essenziell. Wenn uns enaCom nicht so gut betreut hätte, hätten wir das nie gemacht. Nachdem ich wieder zurück war aus Schweden habe ich zum Beispiel so gut wie jedes Weiterbildungsangebot von enaCom wahrgenommen. Vieles davon war unglaublich hilfreich. Außerdem betreuen uns die Mitarbeitenden des Transfer Centers wirklich sehr eng, ehrlich und herzlich. Die sind sehr enthusiastisch und auch sehr schnell, wenn es darum geht, Dinge möglich zu machen oder Rückmeldungen zu geben.

Zur Entwicklung Ihrer Wissensdatenbank haben Sie den Prototypisierungsgrant der Universität Bonn erhalten. Ein hilfreiches Instrument?

Dr. Cramer: Auf jeden Fall. Mit Unterstützung des Prototypisierungsgrants konnten wir im vergangenen Jahr die Wissensdatenbank entwickeln, implementieren und in Zusammenarbeit mit dem Freien-Elektronen-Laser in Schenefeld testen. Das hat sehr gut funktioniert, auch wenn wir aufgrund der hohen Dynamik im KI-Bereich unsere Entwicklung immer wieder an neue Sprachmodelle anpassen und testen mussten. Aber dieser schnelle und hohe Anpassungsdruck ist eben typisch für die Arbeit mit KI-basierten Verfahren.

Der Prototypisierungsgrant wird vom Transfer Center enaCom zur Verfügung gestellt. Finanziert wird er über die Landesinitiative Exzellenz Start-up Center.NRW im Rahmen des Projekts „U Bo Grow“ an der Universität Bonn. Was genau fördert der Grant?

Dr. Cramer: Dank der Förderung hatten wir viel Freiraum, um Dinge auszuprobieren und den European XFEL, den großen freien Elektronenlaser, als Partner zu gewinnen, um unsere Entwicklung im Feld zu testen. Konkret gefördert wurde zum Beispiel die Begleitung durch einen Datenschützer. Der hat uns unglaublich weitergeholfen, u.a. im Kontext von Datenschutzrichtlinien oder beim Umgang mit sensiblen Daten. Sehr hilfreich war auch die Beratung, insbesondere zum Einsatz von KI, wo ja vieles noch sehr unklar ist. Außerdem konnten wir mit dem Prototypisierungsgrant die Nutzung der notwendigen Infrastruktur finanzieren, zum Beispiel Google Cloud oder die verschiedenen Instanzen, auf denen wir die Sprachmodelle haben laufen lassen.

Und wie finanzieren Sie Ihre Lebenshaltungskosten?

Dr. Cramer: Wir nutzen aktuell mehrere kleine Finanzierungsquellen. Ich habe zum Beispiel in den ersten drei Monaten dieses Jahres ein EXIST-Women-Stipendium erhalten, das nicht nur die Lebenshaltungskosten, sondern auch Sachmittel sowie Coaching-Angebote, Weiterbildungsformate und so weiter abdeckt. Aktuell erhalten wir einen Santander Innovation Grant der Uni Bonn, der unsere Reisekosten von bis zu 5.000 Euro übernimmt. Außerdem sind wir alle noch an unseren Universitäten als wissenschaftliche Mitarbeitende beschäftigt. Damit können wir uns über Wasser halten.

Wenn Sie Bilanz ziehen: Was lief bisher nicht so gut?

Dr. Cramer: Womit wir nicht gerechnet hatten, war, dass man als internationales Team mit so vielen Hürden zu kämpfen hat. Dabei haben wir alle EU-Staatsbürgerschaften und bewegen uns im europäischen Binnenmarkt. Viele Förderprogramme haben sich das Thema Internationalität ganz oben auf die Fahnen geschrieben. Aber wenn die Gründer und Gründerinnen unterschiedliche Staatsbürgerschaften haben und an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Ländern wohnen, wird es kompliziert bis unmöglich. Da fällt man dann aus der Förderung raus. Auch die Fragen zur Einrichtung eines Bankkontos oder zu Fremdwährungsüberweisungen – wir haben es mit Euro und schwedischen Kronen zu tun –, sind nicht so einfach zu beantworten.

Und was ist besonders gut gelaufen?

Dr. Cramer: Ich habe durch das EXIST-Women-Stipendium eine ganz herausragende Mentorin. Es handelt sich um eine Unternehmerin aus Bonn, die ich bereits vor etwa 15 Jahren ganz am Anfang meines Studiums kennengelernt habe. Das Mentoring hat uns insgesamt als Team sehr vorangebracht, gerade wenn es um ganz praktische Fragen wie die Geschäftsadresse, die Liquiditätsplanung oder andere unternehmerische Dinge ging.

Positiv ist auch, dass unter uns Teammitgliedern ein großes Vertrauen herrscht, obwohl wir uns nicht jeden Tag sehen und wir auch nicht in einem gemeinsamen Büro sitzen. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich sehr dankbar. Sehr motivierend ist natürlich auch, dass unsere Ideen bei den Forschungsinfrastrukturen auf große Zustimmung stoßen. Insofern sind wir sehr optimistisch, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Stand: Juli 2024

Weitere Informationen:

TILLER ALPHA

Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert die Projekte „U Bo Grow“ und „BoHAIMe“ an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.