„Es gab zwei, drei Situationen, bei denen die Beratung den Ausschlag dafür gegeben hat, dass ich weitergemacht habe.“
Sport- oder Yoga-Apps sind beliebt. Dennoch bleibt die Frage: Woher weiß man, ob man die Übungen tatsächlich richtig ausführt? Eine Antwort darauf bietet der Mathematiker Jakob Vanhoefer mit dem von ihm entwickelten Verfahren. Es analysiert und korrigiert per Video Körperhaltungen in Echtzeit. Entstanden ist die Idee in der Summer School des Transfer Centers enaCom an der Universität Bonn. Nachdem nur wenige Monate später die ersten Kunden vor der Tür standen, war für Vanhoefer klar: Er gründet sein Start-up LightningPose und wagt damit den Sprung aus der Wissenschaft ins Unternehmerleben.
Herr Vanhoefer, Sie haben einen Algorithmus geschrieben, der Körperhaltungen per Video analysiert und korrigiert. Um was geht es genau?
Vanhoefer: Es gibt KI-Algorithmen, die anhand von Videoaufnahmen die einzelnen Bestandteile des menschlichen Skelettes erkennen können: Schultern, Ellbogen, Knie usw. Im Grunde kann man sich das wie ein Strichmännchen vorstellen. Auf diesen Algorithmen baut unser Verfahren auf. Aus den Strichmännchen liest der von uns entwickelte Algorithmus die Körperhaltung ab und erkennt dabei, um was für eine Übung es sich handelt. Außerdem erkennt der Algorithmus, an welcher Stelle die Körperhaltung noch nicht ideal ist und gibt der Nutzerin bzw. dem Nutzer ein entsprechendes Feedback. Wenn jemand zum Beispiel zuhause vor seiner Notebook-Kamera die Yogaübung „herabschauender Hund“ macht, erkennt der Algorithmus, ob die Übung richtig oder falsch ausgeführt wird und gibt direkt entsprechende Korrekturhinweise. Das Ganze dauert nur Sekundenbruchteile.
Was benötigt man dafür?
Vanhoefer: Ein Smartphone oder ein Notebook. Wir können das prinzipiell für jedes Device anbieten. Wobei wir keine eigene App anbieten, sondern die Funktion als Softwarebaustein an die Betreiber von Sport-, Yoga- oder ähnliche Apps verkaufen.
Die Idee haben Sie an der Uni Bonn entwickelt. Wie kam es dazu?
Vanhoefer: Ich komme aus der Mathematik und habe an der Uni Bonn an der Schnittstelle von Mathematik und Lebenswissenschaften gearbeitet. Das heißt, ichhabe im Rahmen meiner Promotion mit Hilfe von Data-Science-Methoden bzw. KI-Methoden Labordaten ausgewertet. Konkret ging es unter anderem um die Auswertung von Medikamentenscreenings. Im Mittelpunkt meiner Forschungsarbeiten stand also das Thema Datenanalyse.
Nachdem ich dann bei einer uni-internen Konferenz meine Forschungsarbeit vorgestellt hatte, kam ein Transfer-Scout vom Transfer Center enaCom auf mich zu und meinte: „Hey, du machst angewandte Forschung. Hast du nicht Lust, ein Start-up zu gründen?“ Ehrlich gesagt, hatte ich bis zu dem Zeitpunkt das Thema Start-up überhaupt nicht auf dem Radar. Aber da ich ein offener und interessierter Mensch bin und keine Forschung im Elfenbeinturm betreiben möchte, hörte sich das Angebot, in die Start-up-Welt hineinzuschnuppern ganz spannend an. Und tatsächlich ist dann die Idee für einen Algorithmus zur Erkennung und Korrektur von Körperhaltungen an der Summer School entstanden.
Wie das?
Vanhoefer: Während der Summer School haben wir in Zweierteams gearbeitet. Mein Teampartner kam aus dem Bereich Computer-Vision, ich kam aus dem Bereich Data Science für Health Care. Wir haben also erstmal überlegt, wo die gemeinsame Schnittstelle liegt. Irgendwie kamen wir dann darauf, ein Tool zu entwickeln, das überprüft, ob Leute ihre Yogaübungen richtig ausführen. Innerhalb der fünftägigen Summer School haben wir uns dann tagsüber mit dem betriebswirtschaftlich-strategischen Gründungs-Know-how auseinandergesetzt und abends habe ich mich mit der Entwicklung eines Algorithmus beschäftigt. Am Ende der Summer School hatten wir dann die rudimentäre erste Version eines Algorithmus und einen groben Fahrplan für die Gründung eines Unternehmens.
Wie ging es dann weiter?
Vanhoefer: Nachdem alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Ideen vorgestellt hatten, kamnach unserem Pitch jemand aus dem enaCom-Team auf mich zu und lud uns zu einem Beratungsgespräch ein. Dort hieß es dann unter anderem, dass wir doch am Ideenwettbewerb der Uni Bonn teilnehmen könnten. Ich hatte aber zu dem damaligen Moment das Gefühl, dass wir dafür noch längst nicht genug in der Hand hatten. Also habe ich mich in den knapp drei Monaten bis zum Beginn des Ideenwettbewerbs an den Wochenenden und im Urlaub intensiv mit der Weiterentwicklung des Algorithmus beschäftigt. Damals sollte es noch eine Yoga-App werden. Die Idee haben wir dann beim Ideenwettbewerb vorgestellt.
Um es kurz zu machen: Danach wurden wir zur Teilnahme am Start-up Accelerator des DIGITALHUB.DE in Bonn eingeladen. Und damit war ich auf einmal drin in der Start-up-Szene. Auf einmal war aus einem eher spielerischen Versuch eine ernstzunehmende Business-Idee geworden. Das hat eine Dynamik reingebracht, die für mich viel verändert hat. Im Accelerator hatte ich ein Büro. Ich habe Leute kennengelernt, die an ähnlichen Fragestellungen gearbeitet haben. Hinzu kam die Rückendeckung der Uni Bonn, die mir erlaubte, trotz meiner Gründungsvorbereitungen an meiner Promotion weiterzuarbeiten. Ich war sozusagen noch in beiden Welten drin. Und dann kamen die ersten Kunden! Innerhalb dieses halben Jahres im Accelerator kamen zum Beispiel Appentwickler bzw. Betreiber von Fitnessapps auf mich zu und wollten meinen Algorithmus einbinden. Damit war klar: Ich gründe ein Unternehmen und stelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.
Das ging ja flott!
Vanhoefer: Das ging verdammt flott. Das war eine wilde Fahrt.
Gegründet haben Sie allein. Gerade bei universitären Ausgründungen heißt es aber doch oft, dass man im Team und am besten mit einer BWLerin oder einem BWLer gründen sollte.
Vanhoefer: Stimmt, aber mein Teampartner, mit dem ich an der Summer School und am Ideenwettbewerb teilgenommen hatte, hat sich für eine akademische Karriere entschieden. Wir haben uns dann im Guten auseinanderdividiert. Ich habe in der Unternehmensgründung eine spannende berufliche Perspektive für mich gesehen, weil die unternehmerische Tätigkeit viele Sachen beinhaltet, die ich sehr gerne mag: man löst Probleme, ist kreativ und muss dynamisch sein. Ich war auch lange Zeit offen dafür, einen Co-Founder an Bord zu nehmen und habe mit vielen Leuten gesprochen. Aber es hat sich einfach nicht die Person herauskristallisiert, die das nötige Commitment mitbringt, also habe ich die Sache alleine durchgezogen.
Wie haben Sie sich als Mathematiker das notwenige betriebswirtschaftliche Know-how angeeignet?
Vanhoefer: Da hat die Beratung durch enaCom eine sehr wichtige Rolle gespielt. Das Team hat einen unglaublichen Erfahrungsschatz. Dazu gehören sowohl eigene Gründungserfahrungen als auch die Erfahrungen aus anderen Teams.
Ohne diese Betreuung gäbe es mein Start-up heute nicht. Es gab zwei, drei Situationen, bei denen die Beratung den Ausschlag dafür gegeben hat, dass ich weitergemacht habe – gerade in der Anfangsphase. Dabei waren es oft nur kleine Dinge, die den Unterschied gemacht haben. Zum Beispiel davon überzeugt zu werden, am Ideenwettbewerb teilzunehmen. Trotz aller Zweifel, die ich hatte, hieß es bei enaCom: „Du hast genug in der Hand. Geh da hin!“ Oder dass ich einen Raum bekommen habe, wo ich den Algorithmus testen konnte, weil ich zu Hause nicht genügend Platz dafür hatte. Das waren zum Teil keine großen Sachen, aber letztlich waren sie ausschlaggebend. Hilfreich waren natürlich auch der Accelerator und die Coachings beim Digitalhub. Von daher hatte ich wirklich eine gute Vorbereitung. Und wenn ich sehe, wie sich LightningPose bisher entwickelt hat, freue ich mich auf die weitere Reise.
Als Solo-Gründer müssen Sie sich sowohl um die Produktentwicklung als auch um den Aufbau des Unternehmens kümmern. Wie schaffen Sie das?
Vanhoefer:Das Geheimnis ist, ein supercooles Umfeld in alle Richtungen zu haben – ob privat oder bei enaCom. Ganz entscheidend ist natürlich auch das Team im Unternehmen. Aber da die Uni Bonn die deutsche Mathe-Uni schlechthin ist, gibt es dort verdammt motivierte, schlaue, gute Leute. Von daher habe ich wirklich ein tolles Team, das mich bei der Entwicklungsarbeit sehr entlastet.
Bei Ihnen standen ziemlich schnell die ersten Kunden vor der Tür. Anfängerglück?
Vanhoefer: Ich glaube, wenn sich Gründerinnen und Gründer abends beim Bier treffen, steht die Frage, wie man Kunden bekommt, immer im Mittelpunkt. Ehrlicherweise war bei mir jede Kundenakquise am Ende des Tages Zufall. Aber man kann dem „Kollegen Zufall“ natürlich viele Türen öffnen, indem man zum Beispiel auf Netzwerkveranstaltungen geht und mit vielen Menschen spricht. So habe ich zum Beispiel einen meiner größeren Kunden kennengelernt. Am Stehtisch, beim Small Talk.
Ihr Algorithmus kann eigentlich überall dort, wo es um Körperhaltungen geht, eingesetzt werden, ob beim Sport, Yoga, Fußballtraining oder bei Therapien. Der große Anwendungsbereich ist doch sicher ein Vorteil, oder?
Vanhoefer: Im Endeffekt ja, aber erst mal ist er eher problematisch. Wenn man mit einer neuen Technologie aus der Forschung kommt, hat man ja damit noch kein Produkt in Händen. Um ein Produkt handelt es sich erst dann, wenn es ein Problem löst, das mein Gegenüber hat. Wenn ich also jetzt mit meinem Algorithmus komme und sage, damit kann man Körperhaltungen in Videos analysieren, heißt es: Schön, dass du das kannst, aber welches Problem löst du damit? Entscheidend ist also, erst einmal zuzuhören, welches Problem die Leute haben und dann zu schauen, ob man das Problem lösen kann. Diese Transferleistung macht den Vertrieb nicht einfach, vor allem, wenn man wie ich immer nur in einer technischen Entwicklungs-, Forschungs-Umgebungen gearbeitet hat.
Sie wurden auch über das Projekt BoHAIMe, dem Bonn Hub for Algorithmic Innovations in Medicine, an der Uni Bonn unterstützt. Was hat es damit auf sich?
Vanhoefer: Ich möchte meinen Algorithmus zukünftig auch therapeutisch einsetzen. Haltungserkennung, Korrekturanalysen usw. fallen ja auch in den medizinischen Bereich. Bislang gibt es kein vergleichbares Medizinprodukt auf dem Markt. Nur: Der Medizintechnikmarkt ist sehr stark reguliert. Und das Zulassungsverfahren ist sehr aufwändig. Insofern ist es toll, dass es an der Uni Bonn mit BoHAIMe eine Anlaufstelle gibt, die einen beim Eintritt in den Medizintechnikmarkt unterstützt. Das beginnt bereits bei der Frage, welche Produkte überhaupt eine Zulassung bekommen können. Im schlechtesten Fall entwickelt man eine Software, die nicht der Regulatorik entspricht. Und da ein Team an der Hand zu haben, das einem detailliert und verständlich den Weg aufzeigt und sagt, wie man etwaige Hürden nehmen kann, ist wirklich Gold wert.
Wie verlief denn insgesamt der Markteintritt bisher für Sie?
Vanhoefer: Prinzipiell ist so eine Start-up-Gründung immer eine Achterbahnfahrt.
Es ist wahnsinnig anstrengend und es ist wahnsinnig viel zu tun. Der Berg wird immer steiler. Aber man wächst mit und es macht einfach viel Spaß.
Weitere Informationen:
Stand: August 2023
Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert die Projekte „U Bo Grow“ und „BoHAIMe“ an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
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