„Die RWTH Innovation hat uns sehr dabei geholfen, eine Kooperation mit dem Uniklinikum Aachen einzugehen.“

Das Gründungsteam der Sequantrix GmbH (v.l.n.r.): Dr. Konrad Hoeft, Dr. Sikander Hayat, Prof. Dr. Rebekka Schneider, Prof. Dr. Rafael Kramann und Dr. Michael Rheinecker
© Prof. Dr. Rafael Kramann

Der Schritt vom Forschungslabor zum eigenen Unternehmen ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht immer einfach. Doch Prof. Dr. Rafael Kramann und Prof. Dr. Rebekka Schneider ist es gelungen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Sie haben im Juni 2023 die Sequantrix GmbH gegründet, um Therapien für Organfibrosen, kurz: Vernarbungen der inneren Organe, zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Zugleich setzen sie ihre Forschungsarbeiten, die sie in den USA begonnen haben, an der Uniklinik RWTH Aachen fort. Für das Gelingen dieser Kollaboration spielte die RWTH Innovation mit ihrem Know-how und ihrer Moderation eine wichtige Rolle.

Herr Prof. Kramann, Sie haben gemeinsam mit Prof. Rebekka Schneider ein Verfahren entwickelt, das neuartige, antifibrotische Zielmoleküle, identifiziert und validiert. Könnten Sie einem Laien erklären, um was es dabei geht?

Prof. Kramann:Kurz gesagt, entwickeln wir neue Therapien für Patienten mit Organfibrose. Dabei handelt es sich - vereinfacht ausgedrückt - um Vernarbungen in den inneren Organen. Das kann man durchaus mit Narben in der Haut vergleichen, die zum Beispiel infolge einer Schnittwunde entstehen. Die Narben in Organen wie der Niere, dem Herzen, der Leber oder der Lunge entstehen dort aber nicht durch Schnittverletzungen, sondern zum Beispiel durch chronische Verletzung wie hohen Blutzucker oder hohen Blutdruck. Dadurch wird mittel- oder langfristig die Architektur der Organe zerstört, es kommt zum Verlust der Organfunktion und schlimmstenfalls zum völligen Organversagen. Letzteres kommt leider relativ häufig vor. Ungefähr 45 Prozent aller Todesfälle in den Industriestaaten haben mit Organvernarbungen zu tun. Ob bei Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder einer Tumorerkrankungen: überall spielen Organvernarbungen eine Rolle.

Prof. Schneider: Bislang gibt es für die Behandlung von Organvernarbungen allerdings noch keine zugelassene Therapie, außer für die Lunge – aber die ist nicht sehr wirkungsvoll. Wir arbeiten daher an der Entwicklung einer Therapie, mit der sich ein Organversagen zumindest verlangsamen lässt. Dazu nutzen wir Datenbanken mit multimodalen Einzelzellen. Das bedeutet, wir erzeugen sehr große Datensätze, die sowohl aus krankem als auch aus gesundem Gewebe bestehen. Dabei setzen wir den Fokus auf Nieren-, Herz- und Knochenmarkgewebe. Aus der DNA und RNA jeder einzelnen Gewebezelle generieren wir eine Reihe von Daten, die wir in KI-gestützte Computermodelle einspeisen. Dadurch können wir nachvollziehen, was im Verlauf einer Organerkrankung – von der ersten Verletzung über die Vernarbung bis zum Funktionsverlust – passieren kann. Wie reagieren die verschiedenen Zellen, also Immunzellen, Epithelzellen, Fibroblasten usw. jeweils auf eine chronische Verletzung? Genau das schauen wir uns an: den Gesamtprozess der Zellreaktionen, die Verhaltensweisen einzelner Zellen, deren Kommunikation untereinander und deren Veränderung. Die entscheidende Frage ist dabei: Wie reagieren die Zellen, wenn man mit bestimmten Wirkstoffen bzw. Medikamenten interveniert? Lässt sich die Erkrankung damit verlangsamen oder aufhalten oder sogar rückgängig machen?

Die Ergebnisse überprüfen wir anschließend im Labor an Mini-Organen aus Stammzellen in der Zellkultur oder auch im Tierversuch. Damit stellen wir fest, ob die Organe tatsächlich so reagieren, wie es das Computermodell vorausgesagt hat. Idealerweise identifizieren wir dabei ein neues Zielmolekül, also beispielsweise ein bestimmtes Protein, dessen Hemmung zur Verringerung von Fibrose in Zellen führt. Das ist dann der Punkt, an dem die Medikamentenentwicklung beginnt und wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen aus der pharmazeutischen Forschung zusammensetzen und überlegen, welche Medikamentenklasse in Frage kommt und wie wir zu einem Medikament kommen. Hierbei spielt dann auch wieder die künstliche Intelligenz eine Rolle, um beispielsweise kleinmolekulare Wirkstoffe computergestützt zu generieren, die in einem Modell die Zielstruktur inhibieren können.

In welchem Kontext ist das Verfahren entstanden?

Prof. Kramann: Wir haben während unserer Forschungstätigkeiten an der Harvard Medical School in Boston angefangen, uns mit dem Thema Organvernarbung zu beschäftigen. Rebekka Schneider in der hämatologischen Forschung und ich in der Nieren- und Herzforschung. Seit dem stand für uns auch immer die Frage im Raum, wie wir unsere Forschungsergebnisse zur Anwendung bringen können. Wie können Patientinnen und Patienten von unserer Arbeit profitieren? Die Antwort darauf war relativ schnell zur Hand: am besten über eine Ausgründung bzw. ein eigenes Unternehmen. Die Idee war, Methoden zu entwickeln, die für die Medikamentenentwicklung in der industriellen pharmazeutischen Forschung eingesetzt werden können. Also haben wir damals in Boston die MatriTarg Laboratories gegründet und damit sogar die Harvard Innovation Challenge gewonnen. Nur: Die Investoren waren der Ansicht, dass wir unsere wissenschaftliche Karriere an den Nagel hängen und uns voll und ganz unserem Start-up widmen sollten. Der Gedanke gefiel uns nicht. Unsere wissenschaftliche Karriere war uns einfach wichtiger. Also haben wir unsere Technologie an größere Unternehmen lizensiert.

Als Sie 2015 nach Deutschland zurückkamen, hat Sie das Gründungsfieber aber doch wieder gepackt.

Prof. Schneider: Ja, als wir wieder zurück nach Aachen kamen, nahmen wir die Idee, ein Unternehmen zu gründen, tatsächlich wieder auf und sagten uns, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei. Wir haben dann sehr viele Drittmittel eingeworben. Ich habe ein Labor an der Erasmus Universität in Rotterdam aufgemacht und Rafael Kramann an der RWTH Aachen. Im Verlauf der Jahre konnten wir dann mit unserer Arbeitsgruppe immer weiter expandieren und wichtige Erkenntnisse in Mechanismen der Organfibrose gewinnen, aber auch neue Technologien entwickeln. Die RWTH hat dies erkannt und maßgeblich unterstützt. Ich bin im Jahr 2020 dann an die RWTH berufen worden als Direktorin des Instituts für Zell- und Tumorbiologie und Rafael Kramann wurde mit der Gründung eines neuen Instituts für Experimentelle Innere Medizin und Systembiologie beauftragt. Dieses wurde im vergangenen Jahr mit der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Rheumatologische und Immunologische Erkrankungen fusioniert, um translationale Forschung, also neue Forschungserkenntnisse aus dem Labor in die Anwendung zu überführen und direkt mit der Patientenversorgung zu vereinen.

Und welche Rolle spielte die RWTH Aachen dabei?

Prof. Kramann: Wir haben beide in Aachen studiert und auch an der RWTH gearbeitet. Von daher kannten wir natürlich auch die RWTH Innovation, die uns mit ihrem Know-how und ihrem Netzwerk wirklich sehr gut unterstützt hat. Als Mediziner und Naturwissenschaftler ist man ja kein Experte in Sachen Venture Capital oder Company Building. Das Team der RWTH Innovation hat uns daher mit betriebswirtschaftlich versierten und erfahrenen Leuten in Kontakt gebracht. Über diesen Weg ist zum Beispiel unser CEO, Dr. Michael Rheinnecker, zu uns gestoßen. Er hat als Biotechnologe und Geschäftsführer von Biotech-Unternehmen genau die Expertise mitgebracht, die uns fehlte.

Prof. Schneider: Hilfreich waren natürlich auch all die Informationen rund ums Gründen, die uns das Team der RWTH Innovation zur Verfügung gestellt hat: von den gesetzlichen Anforderungen über Fördermöglichkeiten bis hin zu potenziellen Industriepartnern. Nicht zuletzt hat uns die RWTH Innovation sehr dabei geholfen, eine Kooperation mit dem Uniklinikum Aachen einzugehen, was allein aus rechtlichen und verwaltungstechnischen Gründen nicht einfach war. Umso mehr freuen wir uns darüber, dass wir dort unsere Institute aufbauen konnten. Rafael Kramann ist zurzeit Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Rheumatologische und Immunologische Erkrankungen und leitet ein großes Forschungslabor und ich leite das Institut für Zell- und Tumorbiologie). Damit haben wir ideale Voraussetzungen, um unsere Technologie weiterzuentwickeln und in ein unternehmerisches Produkt zu überführen.

Wie sieht es aus mit Investorinnen und Investoren? In Deutschland wird oft die unzureichende Zahl kapitalstarker Investorinnen und Investoren beklagt. Wie sehen Sie das vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen in den USA?

Prof. Schneider: Ja, das ist leider ein großes Manko. Gerade im Early-Biotech-Bereich, in der Frühphase der Medikamentenentwicklung, gibt es eigentlich kaum Investoren. Das ist in den USA deutlich besser. Wir überlegen deshalb, dort eine Tochtergesellschaft zu gründen. Es gibt dort einfach viel mehr sehr vermögende Personen, die in High-Risk-Projekte investieren. Das hängt auch mit den Steuergesetzen zusammen. Viele Milliardäre und Millionäre spenden oder investieren hohe Summen, um damit ihre Steuerlast zu reduzieren.

Der Wechsel von der Wissenschaft in die Wirtschaft fällt Ihnen offensichtlich nicht schwer. Oder würden Sie sagen, es gibt schon so ein paar Dinge, wo Sie als Wissenschaftlerin ins Grübeln kommen?

Prof. Schneider: Das Gute ist ja, dass wir beide weiterhin als Wissenschaftler an der Uniklinik Aachen tätig sind. Wir haben zwar die SequantrixTM GmbH gegründet, sind dort aber nicht Vollzeit tätig, sondern lediglich als Berater. Das Konstrukt sieht so aus, dass wir Verträge geschlossen haben, sodass unsere akademischen Forschungslabore mit unserem Unternehmen kollaborieren können. Hierbei hat uns die RWTH Innovation und auch das Universitätsklinikum Aachen sehr unterstützt. Das ist schon etwas Besonderes und ein sehr großer Mehrwert für unser kleines Start-up, weil wir dadurch im unmittelbaren Kontakt zu über hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stehen. Wir hoffen, dass diese enge Verzahnung zwischen universitärer Forschung und unternehmerischer Tätigkeit auch für zukünftige Investorinnen und Investoren interessant ist. Hierdurch können wir auch Forschungsanträge stellen, die sowohl unsere akademische Forschung als auch das Unternehmen unterstützen mit dem Ziel den Biotech-Standort in Aachen und NRW zu stärken.

Wie sehen Ihre nächsten unternehmerischen Schritte aus?

Prof. Kramann: Wir möchten unsere Plattform möglichst breit aufstellen, um damit die Grundlage für neue Medikamente zu entwickeln. Hintergrund ist, dass es immer wieder Start-ups gibt, die nur auf ein Medikament ausgerichtet sind. Wenn das dann nach jahrelanger Entwicklungsarbeit doch nicht den gewünschten Effekt zeigt, ist das junge Unternehmen tot. Das möchten wir vermeiden, indem wir zum Beispiel mit verschiedenen Wirkstoffen arbeiten. Außerdem sind wir momentan in vielen Gesprächen mit großen Pharmaunternehmen, die u.a. daran interessiert sind, unsere Tools zur Validierung ihrer Medikamente zu nutzen. Vor allem die Zusammenarbeit mit etablierten Pharmaunternehmen ist für uns in der aktuellen Frühphase sehr wichtig. Dadurch haben wir die Chance, die sehr aufwändigen Testphasen durchzuführen und zu finanzieren und zugleich gegenüber Investorinnen und Investoren deutlich zu machen, dass wir als kleines Start-up für große international tätige Pharmaunternehmen interessant sind.

Ist die Pharmaindustrie denn bereit, mit Start-ups zusammenzuarbeiten?

Prof. Schneider: Es gibt mittlerweile ein großes Interesse der Pharmaindustrie, Wirkstoffe zur Behandlung von Fibrose zu entwickeln. Aber es ist natürlich nicht so, dass man als kleines Start-up von heute auf morgen die Zusage für eine Kooperation oder ein Investment erhält. Der Weg verläuft vielmehr über viele kleinere Projekte, und wenn man gute Arbeit abliefert, werden die Projekte Schritt für Schritt immer größer.

Wenn Sie zurückblicken: War es die richtige Entscheidung, aus den USA wieder zurück nach Deutschland zu kommen und hier unternehmerisch zu starten?

Prof. Kramann: Ja, auf jeden Fall. Schon allein aus familiären Gründen. Eine Gründung wäre in den USA wahrscheinlich etwas einfacher gewesen, mit geringeren formal-rechtlichen und steuerlichen Hürden. Aber letztendlich sind wir mit dem Ergebnis unserer Gründung und der damit verbundenen Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Aachen sehr zufrieden. Und wenn es uns nun noch gelingt, Investorinnen oder Investoren aus den USA zu überzeugen, in unser Start-up hier in Europa zu investieren, wäre es perfekt.

Haben Sie zu guter Letzt noch ein, zwei Tipps für andere Gründerinnen und Gründer?

Prof. Schneider: Vielleicht weniger für Gründerinnen und Gründer, sondern eher für Hochschulen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man während des Medizinstudiums oder auch in der Forschung nicht dafür sensibilisiert wird, Ideen für eine potentielle Unternehmensgründung zu identifizieren. Man lernt nicht, einen anderen Blick auf seine Forschungsdaten zu entwickeln und zu sehen, ob da eventuell etwas patentiert werden kann.

Insgesamt wäre es da sicherlich förderlich, wenn an den Hochschulen mehr über die Option forschungsbasierter Unternehmensgründungen gesprochen würde. Als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler braucht man einfach immer wieder den Impuls von außen, um sich mit der Idee vertraut zu machen und sie auch für sich als gangbaren Weg zu entdecken. Harvard zum Beispiel hat seit vielen Jahren ein Innovation Lab und führt dort Innovation Competitions durch. Dabei werden die Teams mit Fachleuten aus der Wirtschaft zusammengeführt. So etwas gibt es inzwischen auch an einigen deutschen Hochschulen, auch an der RWTH, aber ich habe den Eindruck, in den USA hat das alles doch etwas mehr Speed.

Weitere Informationen:

SequantrixTM GmbH

 

Stand: April 2024

Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert das Projekt „Building Europe’s leading integrated Tech Incubator“ an der RWTH Aachen.