„Wir verfügen über alle IP-Rechte, die wir für den Bau unseres Seilroboters benötigen, ohne dass unser Start-up dabei finanziell überfordert wird.“
Seilroboter bewegen Werkzeuge und Bauteile mit Hilfe von Draht- oder Kunststoffseilen. Dahinter steckt ein hochkomplexes Konstrukt. Die drei Maschinenbauingenieure Patrik Lemen, Roland Baumann, Robin Heidel und der Wirtschaftsinformatiker Tobias Burger haben dennoch die Herausforderung angenommen. Mit ihrer red cable robots GmbH werden sie in Kürze einen selbstentwickelten Seilroboter auf den Markt bringen. Auf ihrem Weg in die Selbständigkeit steht ihnen dasZentrum für Gründungen und Innopreneurship der Universität Duisburg-Essen – GUIDE zur Seite. Unterstützt werden sie außerdem über den Lehrstuhl für Mechatronik sowie das bundesweite Förderprogramm EXIST-Forschungstransfer.
Herr Burger, was genau sind industrielle Seilroboter und wo werden sie eingesetzt?
Burger: Seilroboter sind eine relativ junge Form der Robotik. Ihr Vorteil ist, dass sie in sehr großen Arbeitsräumen, wie zum Beispiel Lagerhallen, oder auch für große Werkstücke eingesetzt werden können. Nehmen Sie zum Beispiel ein Flugzeug wie den Airbus. Der hat eine Spannweite von 35 Metern. Konventionelle Roboter kommen da an ihre Grenzen. Knickarmroboter, die man aus der Autoindustrie kennt, haben nur eine Reichweite von ungefähr acht Metern. Dann gibt es noch Portalroboter, die man sich wie einen Hallenkran vorstellen kann. Da ist meistens bei 16 bis 20 Metern Ende. Bei Seilrobotern müssen dagegen einfach nur längere Seile verwendet werden.
Und wie kann man sich so einen Seilroboter vorstellen?
Burger: Seilroboter bestehen aus einer Plattform, die an mehreren Seilen hängt. An dieser Plattform können beliebige Roboterwerkzeuge montiert werden: ein Greifer, ein Lackiertool, ein Schweißgerät usw. Das Besondere ist, dass durch das koordinierte Auf- und Abwickeln der Seile die Plattform mit dem jeweiligen Gerät praktisch jeden Punkt im Raum erreichen kann.
Einen solchen Seilroboter zu entwickeln, ist eine ziemliche Herausforderung. Warum eigentlich?
Burger: Der Aufbau von Seilrobotern ist ganz anders als bei herkömmlichen Robotern. Außerdem handelt es sich um nicht lineare Systeme. Die Bewegung des Roboters im Raum wird über das koordinierte Auf- und Abwickeln umgesetzt. Die Berechnungen von Anstellwinkeln, Seilkräften und Seillängen ist daher sehr herausfordernd. Das steckt ein sehr komplexes mathematisches System dahinter.
Das ist der Grund, warum Ihr Seilroboter im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Duisburg-Essen entstanden ist?
Burger: Es gibt weltweit nur eine Handvoll Lehrstühle, die im Bereich der Seilrobotik forschen. Einer davon ist an der Uni Duisburg-Essen. Am Lehrstuhl für Mechatronik ist die Seilrobotik bereits seit 20 Jahren ein Forschungsschwerpunkt. Meine Co-Founder Patrik Lemen, Roland Baumann und Robin Heidel promovieren dort und haben sich daher intensiv mit der Materie beschäftigt. Alle drei kommen aus dem Maschinenbau.
Sie selbst sind Wirtschaftsinformatiker?
Burger: Ja. Ich habe ebenfalls an der Universität Duisburg-Essen am Campus Essen studiert. Mein Schwerpunkt waren digitale Geschäftsmodelle und Gründungen im Bereich der neuen Medien bzw. E-Commerce und E-Business. Nach meinem Studium habe ich fast zehn Jahre im Produktmanagement einer Softwarefirma gearbeitet. Als Patrik, Roland und Robin beschlossen hatten, ein Start-up zu gründen, fragte mich Patrik - wir kannten uns privat schon lange -, ob ich nicht den betriebswirtschaftlichen Part übernehmen möchte. Die Aufgabe hat mich natürlich sehr gereizt.
Wie sieht darüber hinaus die Aufgabenverteilung im Team aus?
Burger: Patrik und Robin kümmern sich um die Konstruktion und die Auslegung des Roboters. Das betrifft die Hardwareseite, aber auch die Anbindung an Industrieschnittstellen und die Steuerung. Roland ist der Experte für Regelungstechnik und kümmert sich dabei vor allem um die mathematischen Anforderungen. Und ich bringe meine beruflichen Erfahrungen im Vertrieb, der Budgetverantwortung und Personalverantwortung mit ein. Insofern sind wir ein Team, das wirklich alle Kompetenzen abdeckt, um das geplante Businessmodell umzusetzen.
Wie kam es überhaupt zu der Idee, ein Unternehmen zu gründen?
Burger: Meine drei Kollegen haben sich als Doktoranden irgendwann die Frage gestellt, wie es nach der Promotion weitergehen kann. Geht man als Angestellter in ein Unternehmen? Sucht man sich ein neues Forschungsprojekt? Oder kann man seine Forschungsergebnisse, in die man so viel Zeit und Herzblut hineingesteckt hat, in die Praxis bzw. in die Wirtschaft überführen? Die Entscheidung fiel auf letztere Option.
Nachdem dann die Idee im Raum stand, ein eigenes Unternehmen zu gründen und wir uns als Team zusammengetan hatten, haben wir erst einmal überlegt, wofür sich so eine Anlage eignen würde. Wer könnte sie einsetzen? Wie viel Geld könnte man dafür verlangen? Welche Konkurrenzangebote gibt es? Wir kamen dann zu dem Ergebnis, dass wir im Vergleich zu anderen Automatisierungslösungen ein durchaus attraktives und konkurrenzfähiges Produkt hatten. Hinzu kam, dass es bis heute keinen kommerziellen Hersteller von Seilrobotern gibt.
Wie hat denn der Lehrstuhl auf Ihre Pläne reagiert?
Burger: Sehr positiv. Professor Dieter Schramm und Professor Tobias Bruckmann sind durchaus Größen in ihren Bereichen und Professor Schramm setzt sich auch sehr für Ausgründungen ein. Von daher wurden wir von seiner Seite aus sehr unterstützt.
Unterstützt wurden Sie auch durch das Zentrum für Gründungen und Innopreneurship der Universität Duisburg-Essen - GUIDE.
Burger: Ja, Roland und ich haben dort zunächst an einem Small-Business-Management-Kurs teilgenommen. Für mich war das eine gute Gelegenheit, mein Wissen noch einmal aufzufrischen, schließlich liegt mein Studium ja schon ein paar Jahre zurück. Zum Abschluss erhielten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Zertifikat, das gegenüber potentiellen Geldgebern natürlich ein guter Qualifizierungsnachweis ist.
Darüber hinaus haben wir mit dem GUIDE-Team über die Frage der Finanzierung gesprochen. Wir sind im Maschinenbau unterwegs. Da ist eine Gründung besonders am Anfang einfach wesentlicher kapitalintensiver als im Digitalbereich. Unser Ansprechpartner beim GUIDE hat uns daher frühzeitig über geeignete Fördermittel informiert. Im Ergebnis haben wir dann EXIST-Forschungstransfer beantragt und auch bekommen, worüber wir sehr glücklich sind. Mir ist kein anderes Förderprogramm bekannt, das so gut auf wissenschaftsbasierte Ausgründungen zugeschnitten ist und auch kapitalintensive Vorhaben wie das unsere unterstützt.
Auch dass die Uni dabei so stark eingebunden wird und ihre Unterstützung zusagen muss, ist ganz wichtig. Deren Gründungsnetzwerk muss den Antrag ja mit Stempel und Unterschriften einreichen. Dadurch entsteht so ein fließender Übergang von der Forschung in Richtung Ausgründung: man ist an der Hochschule als Arbeitnehmer beschäftigt, kann auf die Ressourcen zurückgreifen, das Netzwerk weiter nutzen, hat die Verwaltung im Hintergrund, die sich um die Formalitäten kümmert, und kann sich voll und ganz darauf konzentrieren, das Produkt zur Marktreife zu entwickeln.
Wie sieht es mit dem Thema IP-Transfer aus? Spielte das eine Rolle für Sie?
Burger: Auf jeden Fall. Das mussten wir auch bereits in unserem Antrag für EXIST-Forschungstransfer berücksichtigen. Die Fördermittelgeber wollen unbedingt sehen, dass man sich darüber Gedanken gemacht oder idealerweise schon Schutzrechte gesichert hat, damit man den Geschäftsbetrieb auch tatsächlich aufnehmen kann. Das GUIDE-Team hat uns dabei durch seinen kurzen Draht zur Rechtsabteilung der Uni sehr geholfen. Uns wurde von Anfang an signalisiert, dass man unser Vorhaben sehr unterstützt und die Übertragung von IP-Rechten zu marktüblichen Konditionen stattfinden kann. Im Grunde war es so, wie man es sich wünscht.
In welcher Form wurden bzw. werden die Patenterechte auf Ihr Start-up übertragen?
Burger: Teilweise kaufen wir die Rechte, teilweise zahlen wir eine Lizenzgebühr und können die Rechte exklusiv nutzen. Das ist natürlich alles Verhandlungssache, aber das Ergebnis ist auf uns zugeschnitten. Das heißt, wir verfügen über alle IP-Rechte, die wir für den Bau unseres Seilroboters benötigen, ohne dass unser Start-up dabei finanziell überfordert wird.
Gab es auch Herausforderungen, die schwieriger waren als gedacht?
Burger: Die Antragstellung von umfangreichen Förderprogrammen wie EXIST-Forschungstransfer ist nicht ohne. Da ist es schon von Vorteil, wenn man sich mit der Beantragung von Drittmitteln auskennt. Das ist bei meinen Kollegen zum Glück der Fall gewesen. Außerdem hilft es sehr, eine Einrichtung wie GUIDE mit einem großen Netzwerk im Rücken zu haben.
Und wie sieht es mit der Kundenakquise aus? Haben Sie bereits Kontakt zu potenziellen Kunden?
Burger: Im Maschinenbau gilt: seeing is believing – sehen heißt dran glauben. Es ist schwierig, potenziellen Kunden ein Produkt zu vermitteln, das man noch nicht im Einsatz in der Praxis zeigen kann. Wir sind aber trotzdem schon in Sachen Akquise unterwegs. In diesem Jahr waren wir zum Beispiel auf der automatica, der Leitmesse für Automation und Robotik in München, und auf der DigitalBAU und sind bei einigen Unternehmen auf großes Interesse gestoßen. Gerade im Bauwesen sehen wir gute Chancen für den Einsatz von Seilrobotern, weil sehr große Flächen abgedeckt werden müssen. Bei einem der letzten Forschungsprojekte ging es zum Beispiel darum, die Grundrisse von einem Einfamilienhaus vollautomatisiert zu mauern. Das sind natürlich ganz neue Anwendungsmöglichkeiten. Deswegen sind wir da sehr optimistisch, was die Nachfrage betrifft.
Gab es darüber hinaus noch Dinge, die überraschend positiv waren?
Burger: Wir sehen eine gewisse Entspannung bei den Lieferzeiten für unsere Komponenten. Als wir gestartet sind, war gerade der Ukraine-Krieg ausgebrochen. Damals war nicht klar, ob wir innerhalb des Förderzeitraums tatsächlich alle notwendigen Komponenten zusammenbekommen, um die Anlage zu bauen. Von daher bewerten wir die Entspannung der globalen Liefersituation sehr positiv.
Positiv ist auch, dass wir unseren Zeitplan erfüllen und bereits mit wichtigen potenziellen Kunden im Gespräch sind. Häufig ist es in der Wissenschaft ja so, dass man eine Technologie hat und erst einmal schauen muss, wofür man die überhaupt in der Praxis brauchen könnte. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir durch die vielen Gespräche, die wir bereits geführt haben, feststellen konnten, dass die Nachfrage da ist und sich Unternehmen für unser Produkt interessieren.
Sie haben auch schon einige Seilroboter verkauft, oder?
Burger: Das Team hat bereits im Rahmen von Forschungsprojekten Seilroboter ausgeliefert. Mit Unterstützung von EXIST-Forschungstransfer möchten wir jetzt ein marktreifes Produkt entwickeln, das nach der Europäischen Maschinenrichtlinie gebaut ist, eine TÜV-Begleitung hat und am Ende natürlich auch beim Kunden sicher eingesetzt werden kann. Diese Anforderungen spielen beim Einsatz in Versuchsanlagen in der Forschung keine große Rolle, da es sich dort um geschützte Räume mit beschränktem Zugang handelt.
Mit Abschluss von EXIST-Forschungstransfer I im Februar 2025 soll unser Seilroboter dann so weit sein, dass wir ihn in echte Betriebs- und Produktionsumgebungen ausliefern können. Bis dahin werden wir noch viele Gespräche mit potentiellen Kunden führen, um die genauen Bedarfe zu identifizieren. Wie schnell muss unsere Anlage arbeiten? Wie sieht es mit der Traglast aus? Ist der Einsatzort draußen bei Wind und Wetter oder in einer Halle? Usw. Diese Gespräche gehören aktuell zu unseren wichtigsten Aufgaben.
Weitere Informationen:
Stand: September 2023
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