„Der beste Tipp ist: mit anderen Leuten sprechen, die Idee vorstellen und zeigen, was man kann.“

© SLVISIONS Dr. Robert Grefrath
© SLVISIONS Dr. Faranak Faghihi
© SLVISIONS Hendrik Bissing

Wie lange hält eine Windenergieanlage? Keine einfache Frage. Doch Windenergiebetreiber sind auf eine präzise Antwort angewiesen. Von ihr hängen Sicherheit, Zustand und Kosten der Windräder ab. Der Bauingenieur Hendrik Bissing hat daher einen Algorithmus entwickelt, der die Lebensdauer von Windrädern prognostiziert und deren Zustand analysiert. Entstanden ist die Idee im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit seinen Co-Foundern, dem Betriebswirt Dr. Robert Grefrath und Dr. Faranak Faghihi, bringt Hendrik Bissing nun das Gründungsvorhaben SLVISIONS auf den Weg. Erste Erfolge gibt es bereits: Anfang März wurde das Team bei einem Pitch-Event des WORLDFACTORY Start-up Centers zu einem der Top-5-Start-ups der RUB 2023 gekürt.

Herr Bissing, Sie entwickeln gemeinsam mit Ihrem Team ein Prognosemodell, das die Materialermüdung von Windkrafträdern vorhersagen soll. Damit sollen unter anderem die Kosten der Windenergie gesenkt werden. Wie hängt das miteinander zusammen?
Bissing:
Der Bau und Betrieb eines Windrades sowie deren Rückbau, der ja auch irgendwann ansteht, verursacht hohe Kosten. Diese Kosten wirken sich natürlich auch auf den Strompreis aus. Wenn es also gelingt, Material einzusparen sowie die Wartungsintervalle besser zu planen und darüber hinaus den Weiterbetrieb älterer Anlagen zu ermöglichen, senkt dies letztlich auch den Strompreis.

Wie genau soll das funktionieren?
Bissing:
Nehmen wir den zuerst genannten Punkt: Materialeinsparung. Türme von Windenergieanlagen werden zum Großteil aus Stahl gebaut. Der ist bekanntermaßen teuer. Insofern macht es auch einen großen Unterschied, ob ich 40 mm oder 35 mm dicken Stahl verbaue. Die Entscheidung darüber, welche Tonnage eingesetzt werden kann, hängt aber ganz entscheidend davon ab, wie schnell der Stahl in der praktischen Anwendung ermüdet. Die Frage ist: Wie oft kann sich ein Stahlturm eines Windrades mit einer bestimmten Wandstärke hin und her bewegen, bis sich erste Risse im Stahl zeigen und der Turm zurückgebaut werden muss? Genau diese Frage können wir mit unserem Modell beantworten, und zwar wesentlich genauer als herkömmliche Methoden. Der Windanlagenbetreiber kann mit dem Ergebnis ziemlich sicher einschätzen, wie lange ein bestimmter Turm sowie dessen metallischen Komponenten mit einer bestimmten Stahlstärke halten werden. Daraus ergibt sich dann auch die Antwort, welche Stahlstärken verbaut werden müssen. Führt das Ergebnis dazu, dass eine geringere Stahlstärke ausreicht, führt das zu Kosteneinsparungen.

Als weitere Punkte nannten Sie die Planung von Wartungsintervallen und den Weiterbetrieb älterer Anlagen.
Bissing:
Richtig. Neben der Materialeinsparung während der Planung können wir mit unserem Algorithmus auch prognostizieren, wie lange es dauert bis aus einem oder mehreren kleinen Rissen ein größerer Riss entsteht. Daraus lässt sich ableiten, wann Wartungen und Reparaturen ausgeführt werden müssen. Je besser wir das prognostizieren können, desto besser lassen sich die Wartungsintervalle planen. Auch dadurch werden Kosten gespart. Der Blick ins Innenleben des verbauten Stahls ermöglicht uns darüber hinaus auch eine Prognose hinsichtlich eines möglichen Weiterbetriebs älterer Anlagen zu stellen. Hierzu muss man wissen, dass ein Windrad oft nach 20 oder 25 Jahren rückgebaut und durch ein neues, leistungsstärkeres ersetzt wird, es handelt sich um ein sogenanntes Repowering. Es kann aber auch sein, dass das alte Windrad noch in einem guten und sicheren Zustand ist und eventuell noch drei, vier Jahre weiterbetrieben werden kann. Das kann betriebswirtschaftlich extrem sinnvoll sein, schließlich verursacht der Rückbau einer Anlage hohe Kosten und eine Bestandsanlage ist wirtschaftlich abgeschrieben.

Sie haben einen Algorithmus entwickelt, um diese Prognosen anzustellen. Darüber hinaus benötigen Sie auch Daten, um genaue Aussagen zu treffen. Woher bekommen Sie die?
Bissing:
In modernen Windrädern ist heutzutage eine extrem große Anzahl an Sensoren wie beispielsweise Windgeschwindigkeits- oder Schwingungsmesser verbaut. Der Betreiber weiß also zu jeder Sekunde, in welche Richtung sein Turm schwingt und mit welcher Beschleunigung. Daraus kann man eine Belastungshistorie ableiten. Neben dieser Belastungshistorie arbeiten wir mit Planungsunterlagen, Datenblättern, Wartungsprotokollen usw., die uns insgesamt ein genaues Bild über den Materialzustand geben.

In welchem Kontext ist die Idee und auch Ihr Algorithmus entstanden?
Bissing:
Durch meine Forschungsarbeit am Lehrstuhl für Stahl-, Leicht- und Verbundbau an der Ruhr-Universität Bochum. Ich beschäftige mich als Bauingenieur im Rahmen meiner Promotion mit dem Weiterbetrieb von Windenergieanlagen, insbesondere unter dem Blickwinkel der Materialermüdung. Durch den projektbegleitenden Ausschuss zum Thema „Prognosemodelle zur Lebensdauer und zum Weiterbetrieb von Windenergieanlagen“ habe ich außerdem einen sehr guten Einblick in die aktuellen und zukünftigen Probleme bei der Planung und dem Betrieb von Windenergieanlagen erhalten. Darüber hinaus durfte ich meinen Chef und Doktorvater, Professor Markus Knobloch, oft im Normenausschuss ECCS TC6, der sich mit der Tragstruktur von Windrädern auseinandersetzt, begleiten oder vertreten. Durch zahlreiche Gespräche mit den Mitgliedern dieses Ausschusses stellte sich heraus, dass ein großer Bedarf an einem präzisen Prognosemodell besteht, das die Ermüdungslebensdauer von Stahl bestimmt. Vor diesem Hintergrund habe ich dann den Algorithmus geschrieben.

SLVISIONS besteht aus einem vierköpfigen Team. Wer gehört dazu?
Bissing:
Da ist zunächst einmal mein Co-Gründer Dr. Robert Grefrath. Er hat Betriebswirtschaft studiert und im Bereich Innovationsmanagement promoviert. Wir haben uns über private Kontakte kennengelernt. Seit Kurzem ist außerdem Dr. Faranak Faghihi als Co-Gründerin mit im Boot. Sie ist Bauingenieurin mit dem Schwerpunkt Computational Engineering und hat am selben Lehrstuhl wie ich promoviert. Mit dabei ist auch Professor Markus Knobloch, der uns mit seinem Know-how als Beiratsmitglied unterstützt.

Sie haben sich mit Unterstützung des WORLDFACTORY Start-up Center der Ruhr-Universität Bochum auf Ihre Gründung vorbereitet. Was war besonders hilfreich?
Bissing:
Die WORLDFACTORY war extrem hilfreich, weil wir einfach ein kontinuierliches Feedback erhalten haben. Anfangs stand die Frage nach der Teamzusammensetzung im Raum. Gleich bei einem meiner ersten Gespräche wurde ich zum Beispiel gefragt, ob ich schon einen BWLer an Bord hätte. So kam dann Robert dazu. Wir haben zusammen einen Business Canvas geschrieben, dessen verschiedenen Versionen wir immer wieder an die World Factory zurückgespielt haben. Dann hieß es: Formuliert das und das präziser, arbeitet die Kernaussagen besser heraus. Das war schon sehr hilfreich.
Davon abgesehen hat die WORLDFACTORY uns mit einer studentischen Unternehmensberatung an der RUB zusammengebracht, die für uns eine Marktanalyse durchgeführt hat. Damit wurde uns das Potential unserer Idee erst so richtig deutlich. Robert und ich hatten uns natürlich schon mit dem Markt beschäftigt, aber eine große Marktanalyse, wie wir sie von der Worldfactory quasi spendiert bekommen haben, hätten wir in der kurzen Zeit nicht durchführen können.

Sie haben auch an einem Pitch-Event der WORDLFACTORY teilgenommen und gehören jetzt zu den Top-5-Start-ups der RUB 2023. Inwiefern haben Sie von dieser Veranstaltung profitiert?
Bissing:
Dieser Pitch war unser erster öffentlicher Auftritt auf einer Bühne. Wir hatten uns durch die Teilnahme erhofft, Reichweite und Aufmerksamkeit zu erzielen und neue Kontakte zu knüpfen. Die Hoffnung hat sich erfüllt. Wir haben im Nachgang zum Beispiel mit Personen gesprochen, die wir vorher gar nicht auf dem Schirm hatten, die aber durchaus als potenzielle Kunden oder Geschäftspartner in Frage kommen könnten. Dazu gehören zwei Start-upGründer aus dem Bereich Künstliche Intelligenz und eine Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Ausgründungen aus der Uni. Ganz zu schweigen von den LinkedIn-Likes über die WORLDFACTORY.

Jedes Gründungsteam hat auch mit besonderen Herausforderungen zu tun. Welche waren das bei Ihnen?
Bissing:
Ad hoc fällt mir da der Antrag für EXIST-Forschungstransfer ein. Den Aufwand dafür haben wir etwas unterschätzt, weil Robert und ich das Ganze neben der Arbeit und Familie am Wochenende gestemmt haben. Es geht ja nicht einfach nur um eine Präsentation, sondern vielmehr um einen ausgefeilten Businessplan. Insofern hat es doch länger gedauert als erwartet bis unsere Betreuerinnen und Betreuer bei der WORLDFACTORY gesagt haben: Jetzt ist er soweit, dass er beim Projektträger eingereicht werden kann.

Gab es denn auch etwas, was Sie positiv überrascht hat?
Bissing:
Wie gesagt, die vielen Gespräche und das Feedback zu unserer Idee waren wirklich toll. Außerdem haben wir aktuell drei Pilotkunden, mit denen wir zusammenarbeiten: ein Windanlagenhersteller, ein Netzbetreiber von Erdgas und Wasserstoff und ein Dienstleister, der private Windenergieanlagenbauer betreut. Das läuft super. Durch die Zusammenarbeit erhalten wir wichtige Daten und Zugang zu Anlagen und können evaluieren, wie valide unser Algorithmus im Großmaßstab ist.

Es geht also voran. Haben Sie zu guter Letzt noch einen Tipp für andere Gründungsteams parat?
Bissing:
Der beste Tipp ist: mit anderen Leuten sprechen, die Idee vorstellen und zeigen, was man kann. Das hat uns als Team wirklich vorangebracht hat.

 

Weitere Informationen:

SLVISIONS

Die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW fördert das WORLDFACTORY Start-up Center (WSC) an der Ruhr-Universität Bochum.